Sommersemester 2018: DISPLACED. Verlorene Lebensräume und Improvisierte Möglichkeitsräume

Mit den zwei Stegreifentwerfen, DISPLACED. Verlorene Lebensräume (Leitung: Karin Harather, Tutorin: Svenja Schulmeister) und DISPLACED. Improvisierte Möglichkeitsräume (Leitung: UNOs | umding&ortsam – Theresa Schütz und Rainer Steurer, Tutorin: Svenja Schulmeister) wurden die sukzessive aufgebauten Arbeitsfelder und Strukturen weiterentwickelt. Das DISPLACED-Buddy-System war in den vorangegangenen Semestern in unterschiedlichen Konstellationen erprobt worden und hatte sich mittlerweile gut eingespielt. Sehr positiv und bemerkenswert war, dass viele der an den DISPLACED-Lehrveranstaltungen teilnehmenden Studierenden die Chance nutzten, nicht nur ein Semester lang dabei zu bleiben. Denn das Lehrangebot war bewusst so konzipiert, dass die Lehrveranstaltungstypen und -inhalte des Wintersemesters andere waren als die des Sommersemesters, sich aber aufeinander bezogen und damit gut kombiniert werden konnten. Diese Organisationsform gewährleistete Kontinuität, hinsichtlich der aufgebauten persönlichen Kontakte, vor allem zu den Buddys aus dem Haus Erdberg ebenso wie hinsichtlich der projektspezifisch erworbenen Lernerfahrungen und des Erfahrungswissens rund um den Betrieb und die „Hausgebräuche“ in OPENmarx. All dies konnte von den sog. „alten Hasen“ in die semesterweise neu entstehenden Gruppenkonstellationen weitergetragen werden und erleichterte den Einstieg der „Neuen“ und das Team-Building. 

So organisierten sich die bereits DISPLACED-projekterprobten Studierenden und Buddys aus dem Haus Erdberg nach den ersten gemeinsamen Aktivitäten zum Semesterauftakt sehr schnell mit den neu hinzugekommenen Studierenden und Geflüchteten zu dritt oder zu viert in Projekt-Teams. In diesen Teamkonstellationen wurde das Semester über gemeinsam, prozessorientiert und unmittelbar praxisbezogen an den Aufgabenstellungen der beiden Stegreifentwerfen gearbeitet. Es wurden Ideen und Fertigkeiten, Fach- und Alltagskenntnisse ausgetauscht, soziale Kontakte gepflegt – und bei all dem viel miteinander gesprochen, um die deutsche Sprache zu trainieren. 

Wie sich zeigte, kamen nicht nur die Asylsuchenden aus anderen Ländern und Kulturen, sondern auch ein Gutteil der beteiligten Studierenden stammte aus dem Ausland und hatte eine andere Muttersprache als Deutsch. Diese Erfahrungen, neu in einem Land anzukommen (wenn auch mit sehr unterschiedlichen Beweggründen) und eine neue Sprache lernen zu müssen und die damit verbundenen Schwierigkeiten, Hürden, aber auch positiven Erfahrungen, waren sehr verbindend und schufen eine vertrauensvolle Basis für die fachspezifische Auseinandersetzung mit dem Semesterprogramm „DISPLACED. Verlorene Lebensräume“: Gemeinsam im Team diskutiert, assoziativ analysiert und dokumentiert wurden die (sozial)räumliche Bedeutung der jeweils ganz individuellen Wohn-, Arbeits-und/oder Ausbildungssituationen im Herkunftsland, die Routen und räumlichen Bedingungen der Flucht im Vergleich zum Status quo, also der (sozial)räumliche Situation im Grundversorgungsquartier und im Wiener Stadtraum.

Diese reflektive und assoziative Beschäftigung mit Verlust, Leid und Vermissen, aber auch mit neuen Qualitäten und Optionen schuf die Basis für das Stegreifentwerfen „DISPLACED. Improvisierte Möglichkeitsräume“. Da die bisherigen Aktivierungstätigkeiten und sozialräumlichen Settings bestmöglich weitergeführt werden sollten, lag der gestalterische Fokus – auch jahreszeitlich bedingt – von Beginn an auf den Außen- und Grünflächen des OPENmarx-Areals. Diese wurden von den einzelnen Kleinteams in gegenseitiger Abstimmung zu „improvisierten Möglichkeitsräumen“ erweitert und umgestaltet. 

Team 1 widmete sich dabei der Neuinterpretation des im Sommersemester des Vorjahres gestarteten OPENgardening und „kultivierte“ eine noch wild wuchernde Grünfläche am Areal: Netzwerke zum angrenzenden Nachbarschaftsgarten wurden geknüpft, Hochbeete entworfen und gebaut, eine LKW-Ladung Gartenerde organisiert und eingebracht, Kräuter und Gemüse angepflanzt.

Team 2 entwickelte auf sehr kreative Art und Weise ein Bewässerungssystem, das vorwiegend aus alten Rohren und diversen vor Ort gefundenen Materialien experimentell so entwickelt wurde, dass unterschiedliche Wasserspiele entstanden und die Bewässerung automatisch gesteuert werden konnte.

Team 3 beschäftigte sich mit dem hinter diesem neu erschlossenen Gartenbereich liegenden Zaun, der das Areal von der Straße trennt. Entstanden ist eine weitläufige „Hotel-Anlage“, in der sich – eingearbeitet in die einzelnen Zaunabschnitte – ein Insektenhotel an das andere reiht. Durch die unterschiedliche Form und Materialität sowie das bewusste Spiel mit Innen- und Außenwirkung der Intervention, konnte eine funktionell wie auch optisch sehr ansprechende Verbindung zwischen Garten- und Straßenraum hergestellt werden.

Team 4 entwickelte auf Basis eines partizipativen Entwurfsprozesses mit einer Gruppe von Kindern, die sich einen Spielplatz wünschten, einen Spiel- und Verweilbereich, der an den neugestalteten Gartenbereich angrenzt. Das vorhandene Terrain und die Niveausprünge wurden geschickt genützt, um eine vor der Entsorgung gerettete und bereits seit Jahren zwischengelagerte knallgelbe Kinderrutsche zu installieren. Um diese konstruktiv zu fixieren, wurde mit gelben Schalungsbrettern (die ebenfalls am Lagerplatz vorhandenen waren), eine skulpturale Umbauung realisiert. In Kombination mit dem schwimmbadblauen, ehemaligen Kassenhäuschen (einem Relikt, das aus der gleich gegenüberliegenden Marx-Halle stammt, als diese noch Viehmarkthalle war) und der Brüstung aus nicht mehr gebrauchten Radfelgen (aus der OPENrepair-Fahrradwerkstatt) wurde ein atmosphärisches Setting improvisiert, das zum Spielen und zum gemütlichen Verweilen gleichermaßen einlädt.

Team 5 machte sich zur Aufgabe, den Prototyp, an dem zu Beginn der OPENmarx-Bautätigkeiten die hölzerne Dachkonstruktion der OPENkitchen getestet worden war, zum Pavillon auszubauen. Denn diese Grundkonstruktion steht gut sichtbar – und doch ungenutzt – zwischen dem Grünbereich und dem Zugang zum zentralen Containerbau des Mobilen Stadtlabors. Und so entstand im Coworking ein gemütlicher Pavillon mit hölzerner Bodenplatte, gepolsterten Sitzbänken, einem kleinen Tisch in der Mitte und halbhohen Wänden, die als Pflanztröge für Kletterpflanzen und sonstige Begrünung der Konstruktion ausgeformt wurden. Entstanden ist ein angenehmer Aufenthaltsort, der schnell zum zentralen Treffpunkt wurde.

Team 6 bestand aus zwei Studentinnen und mehreren Mädchen im Volksschulalter, die in Gesprächen über ihre „verlorenen Lebensräume“ erzählten, dass sie ihre Spiel- und Rückzugsorte „von früher“ sehr vermissten. Das am Areal vorhandene, kleine und auffällig orange „Keks-Häuschen“, dessen Front sich so lustig öffnen und hochklappen ließ, war ebenfalls ein Überbleibsel aus einem vorangegangen design.build-Projekt. Es wurde vorwiegend als Lagerraum genutzt, teils für Projektutensilien aus vorangegangen Semesteraktivitäten und zuletzt als Fahrradlager. Schnell stellte sich heraus, dass es für Team 6 das „Objekt ihrer Begierde“ war, und so wurde entrümpelt, geputzt, mit Teppichen, Kissen, Decken, Vorhängen, selbst gebauten Kleinmöbeln, selbstgestalteten Bildern und selbstgebastelten Instrumenten ausgestattet. Und – ganz wichtig – das Schloss wurde ausgetauscht, so dass zum neuen „Beste Freundinnen-Haus“ nur Teammitglieder und speziell geladene Gäste Zugang hatten.

Team 7 beschäftigte sich mit der Neustrukturierung und räumlichen Aufwertung des Eingangsbereichs. Im Zuge dessen wurde u. a. in der Holzwerkstatt ein objekthaftes OPENmarx-Schild angefertigt, das auch bei Nacht sichtbar sein sollte und in wechselnden Farben hinterleuchtet werden konnte.

Team 8 konzipierte Möglichkeitsräume für Jamsessions und das gemeinsame musikalische Improvisieren. Mit dabei waren auch Studierende der Kultur- und Sozialanthropologie. Einer von ihnen hatte sich in seiner Bachelorarbeit mit der sozialintegrativen Wirkung von Musik – vor allem im Kontext von Flucht und Asyl – intensiv beschäftigt. Aus diesem Team formierte sich „Music. DISPLACED“ als eigenständige studentische Initiative.

Parallel zu den konkreten Projekten der unterschiedlichen Teams, wurde der Bestand gewartet und ausgebessert (manche der Paletten waren morsch geworden und wurden ausgewechselt oder geflickt).

Bereits gut laufende Settings, wie OPENkitchen oder OPENrepair wurden erfolgreich weitergeführt.

Zur Überbrückung der vorlesungsfreien Sommermonate wurde die Veranstaltungsreihe „OPENmarx – Ein bunter nachbarschaftlicher Ort mitten im dritten Bezirk“ initiiert und mit Unterstützung der Stadt Wien, Stadtteilkultur und Interkulturalität, war es möglich, während des Sommers wieder verschiedene OPENdonnerstag-Aktivitäten durchzuführen.

Sehr hilfreich für die Aufrechterhaltung des Betriebs am OPENmarx-Gelände war auch die Vereinbarung, die die DISPLACED-Leitung mit dem zuständigen Vizerektorat der TU auf Basis der gemeinnützigen Hilfstätigkeit treffen konnte: Einige der besonders engagierten Buddys wurden für acht Stunden pro Woche mit fixen Aufgabenzuteilungen beschäftigt, die zur Betreuung, Wartung und Reinigung der verschiedenen räumlichen Module und des Außengeländes beitrugen.

„Es ging nicht darum einem strengen Plan zu folgen, sondern eher gemeinsam Lösungen zu finden.“ (Sarah Beyer, Projektbericht, LVA Stegreifentwerfen DISPLACED. Improvisierte Möglichkeitsräume, Sommersemester 2018)

„Durch Engagement, Hausverstand, Teamarbeit und vor allem Freude und Leidenschaft am Arbeiten ist es uns letztendlich gelungen, unsere Idee in eine gebaute Realität umzusetzen.“ (Barbara Karl-Hillepold, Projektbericht, LVA Stegreifentwerfen DISPLACED. Improvisierte Möglichkeitsräume, Sommersemester 2018)