DISPLACED. Haus NordWestBahn

Nach Schließung der Flüchtlingsunterkunft „Vordere Zollamtsstraße“ wurden die DISPLACED-Lehr- und Forschungstätigkeiten im Wintersemester 2016/17 im Caritas-Notquartier „Haus NordWestBahn“ weitergeführt und weiterentwickelt. In diesem Semester wurde das Projekt als studienrichtungsübergreifende Kooperation zwischen dem Institut für Kunst und Gestaltung 1 und dem Fachbereich Örtliche Raumplanung konzipiert: Einmal mehr ging es darum, mit Tatkraft und Selbstermächtigung exemplarische, unmittelbar praxisbezogene Beiträge zu erarbeiten. Über das gemeinsame gestalterische und handwerkliche Arbeiten von Architekturstudierenden, Raumplanungsstudierenden, Bewohner_innen und Mitarbeiter_innen der Notunterkunft für Geflüchtete, dem „Haus NordWestBahn“, konnten Erfahrungen und Praktiken aus der „Vorderen Zollamtsstraße“ weitergetragen werden. Auch hier ging es darum, Ideen, Konzepte und Umsetzungsmöglichkeiten kollaborativ und im wechselseitigen Austausch zu entwickeln, die vielfältigen Expertisen aller Akteur_innen einfließen zu lassen und damit die Lernprozesse zu bereichern. Die konkreten raumbezogenen Anforderungen, Nutzungs- und Rahmenbedingungen der Notunterkunft hatten auch diesmal Katalysatorfunktion für eine bildungsrelevante Raumproduktion, wobei diesmal der Fokus verstärkt auf Fragen der Vernetzung und Verstetigung von (Bildungs-)Räumen in und mit dem Stadtraum gelegt wurde: Lebensraum wurde zum Bildungsraum und Bildungsraum zum vernetzten Lebensraum Stadt – denn Räume bilden und mitbeeinflussen unser aller (Lern-) Verhalten ganz wesentlich. (Vgl. Harather, Karin; Semlitsch, Emanuela; Stuefer, Renate: Displaced | Bildungsraum Stadt. In: future.lab Archiv, Wien 2016. http://www.futurelab.tuwien.ac.at/displaced-bildungsraum-stadt/. Stand 19.12.2019)  

Diese Flüchtlings-Notunterkunft wurde im Februar 2016 am Nord-West-Bahnhofgelände in einem leerstehenden Gebäude der ÖBB (Österreichische Bundesbahn) eingerichtet, das ehemals als Übernachtungsmöglichkeit für Busfahrer diente. Das Caritas-Hausleitungsteam hatte gemeinsam mit Freiwilligen bereits viele Anstrengungen unternommen, um das Leerstands-Objekt und die umliegenden Außen- und Grünflächen mit den bescheidenen Mitteln, die zur Verfügung standen, bestmöglich aufzuwerten und wohnlich zu machen. Dennoch stießen sie bald an ihre Grenzen, da ihnen sowohl die (vor allem zeitlichen) Ressourcen als auch das fachliche Knowhow fehlten. Das Angebot, mit einem Team aus Lehrenden und Studierenden vor Ort aktiv zu werden, nahmen Hausleiter Martin Müller und Freiwilligenkoordinator Nikolaus Sigl gerne an.

Mit der Zusammenführung zweier Lehrveranstaltungen aus der Architektur, „DISPLACED. Räume bilden“ (Leitung: Karin Harather und Renate Stuefer) und „Frei-Raum-Kunst“ (Leitung: Rainer Steurer) sowie einer Lehrveranstaltung aus der Raumplanung, „Bildungsraum Stadt“ (Leitung: Emanuela Semlitsch und Theresa Schütz), konnte ein komplexer und studienrichtungsübergreifender Arbeitsprozess in Gang gesetzt werden, der von Oktober 2016 bis Februar 2017 direkt im Haus stattfand und in den sich alle Interessierten einbringen konnten. 

Im Projektzeitraum wohnten ca. 80 geflüchtete Männer, Frauen und Kinder, im Familienverband oder als Alleinstehende, in diesem Notquartier. Notunterkünfte sind Transiträume, in denen in den Jahren 2015 bis 2017 Asylsuchende untergebracht wurden, für die in den Grundversorgungseinrichtungen vorerst kein Platz war. Im Haus „NordWestBahn“ fanden Menschen aus unterschiedlichsten Herkunftsländern teils nur einige Monate, teils aber auch bis zur Schließung der Unterkunft im Juni 2017 ein neues Zuhause. Bis Ende Mai 2017 wurden alle Bewohner_innen dieses Notquartiers in bereits bestehende Grundversorgungseinrichtungen umgesiedelt.

Durch die Einbeziehung der Bewohner_innen bei der Gestaltung der Räume, vom Fliesen malen bis hin zum Möbelbau, wurde das Projekt von allen angenommen. […] Ich durfte viele interessante Menschen kennen lernen, und konnte Erfahrungen mit partizipativen Prozessen sammeln.

Anna Giffinger, Projektbericht, DISPLACED | Bildungsraum Stadt, Wintersemester 2016/17

Viele Blicke von anderen auf mich als Fremde in ihrem Zuhause, freundliche Begrüßungen, verschiedene Sprachen aus unterschiedlichen Räumen. Das waren die ersten Eindrücke als ich am ersten Tag des Projekts in der Notunterkunft NordWestBahn eintraf. Bereits am Weg vom Eingang bis hinauf in den zweiten Stock des kleinen Hauses lernt man fünf Bewohner_innen kennen, welche einen freundlich willkommen heißen.

Katja Kreitner, Projektbericht, DISPLACED | Bildungsraum Stadt, Wintersemester 2016/17

Die Freiheit, die wir von unseren Betreuer_innen bekommen haben, hat mich dabei unterstützt, dieses eher zeitaufwendige Projekt ungezwungen zu verinnerlichen und es nach einiger Zeit nicht mehr als eine vorgeschriebene Lehrveranstaltung zu betrachten. So konnten wir entspannt gemeinsame Interessen erarbeiten und Beziehungen zu einander aufbauen.

Mia Krezic, Projektbericht, DISPLACED | Bildungsraum Stadt, Wintersemester 2016/17

Bildungsraum Stadt ist vermutlich das gleichzeitig ungewöhnlichste als auch eindrucksvollste Projekt meines bisherigen und vermutlich gesamten Studiums. […] Für mich persönlich gestaltete sich dieses Projekt vor allem als Selbsterfahrung.

Michael Masching, Projektbericht, DISPLACED | Bildungsraum Stadt, Wintersemester 2016/17

Es muss nicht immer alles Sinn machen. Oft reicht es schon, wenn es Spaß macht.

Samuel Moser, Projektbericht, DISPLACED | Bildungsraum Stadt, Wintersemester 2016/17

Zeit war besonders in jenen Moment so augenscheinlich, in denen mir bewusstwurde, dass sie eigentlich die einzige Ressource ist, von der die Bewohner_innen so unglaublich viel haben, und diese in manchen Fällen aber nur dafür aufbringen können um auf ‚den Bescheid’ zu warten. So tickt die Uhr für alle ein bisschen anders.

Jakob Listabarth, Projektbericht, DISPLACED | Bildungsraum Stadt, Wintersemester 2016/17